Architektur und Design

Wohl keine Epoche unserer Geschichte lieferte uns eine solche Fülle von Stilen, Interpretationen über Architektur und Gestaltung und zuletzt auch gebaute Verbrechen, wie die der 80er Jahre.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die westliche Welt mit Aufbau und Neubeginn beschäftigt. Architektur für die Arbeiterschaft prägte unser Landschaftsbild, Siedlungen mit einem Höchstmass an Intoleranz gegenüber dem menschlichen Wohlbefinden wurden in allen Städten der Welt aus dem Boden gestampft. Selbst in einer Zeit, als die Wirtschaft Stillstandsversuche übte, und Rezessionen unsere Mütter und Väter plagte, überströmten farbige Plastikmöbel, innovative Sperrholzentwürfe, neue Schulhaustypen, nierenförmige Tische, technische Geräte und vieles mehr unsere Wohnzimmer und Städte. Die 80er Jahre hingegen brillierten mit einem neuen Schlagwort: Hilflosigkeit. Wie sollte Design und Architektur der Zukunft aussehen ? Die Interpretationen waren so weitläufig, dass selbst Gotische oder Klassizistische Stilelemente wieder zur Anwendungen gebracht wurden, grob mit dem Titel "Postmoderne" umschrieben.

Möbel, Gebrauchsgegenstände, Bauten, usw. gehorchten dem Grundsatz der Stillosigkeit. Alles musste irgendwie einen Hauch Coca Cola, Las Vegas und Miami Vice beinhalten, zudem in den unmöglichsten Materialien gestaltet werden und möglichst unbrauchbar sein.

Die Teekanne von Michael Graves für Alessi, sicher einer der gelungeneren Entwürfe dieser Zeit, zeigt, was die 80er Jahre ausmachten. Eine Teekanne aus der Sicht der 90er Jahre muss funktional sein, dass heisst primär Wasser erwärmen, schlicht und sich in jedem Haushalt integrieren. Michael Graves Kanne hingegen hat Zusätze, die eigentlich niemand brauchte, wie zum Beispiel der nette Plastikvogel, der dem User das Kochen des Wassers pfeifend mitteilt.

Designartikel für den modernen Haushalt, für die moderne Gesellschaft, waren immer durch ihre überinstrumentierte Ausführung und die "ich bin etwas besseres" geprägt. Wer begutachtet heute nicht lächelnd die Möbelentwürfe von Mario Botta, die meistens unbrauchbar, da unbequem und falsch materialisiert sind? Schaut man die Häuser von Botta, Graves usw. genauer an, fragt man sich, was die netten Architekten denn mit ihren komischen Formen und Farben, Stil- und Materialgemischen eigentlich erreichen wollten.

Die Herrschaft des Individualverkehrs und des Individuums als solches erreichte in den 80er Jahren beängstigende Massstäbe, an denen wir noch heute schwer arbeiten. Der Glaube an die grenzenlose Freiheit und den technischen Fortschritt, erlaubte selbst den gebildesten Architekten und Designer mit einer funktions- und materialfremden Vorgehensweise ihre Entwürfe zu realisieren. Aus heutiger Sicht nichts als verständlich, versprachen doch Politik und Wirtschaft eine noch nie dagewesene Grenzenlosigkeit, wie das Projekt SDI von Ronald Reagan eindrücklich bewies. Und genauso kopflos wie die Politik der 80er Jahre sind deshalb auch die Bauten und Einrichtungsgegenstände dieser Zeit.

Einfamilienhäusersiedlungen und Dorfkernverbauungen überfluteten die Gemeinden unseres Landes. Bis heute blieb dieser Glaube an Freiheit und Individualismus wie ein Fels in der Brandung bestehen. Banken, Versicherungen, Grossverteiler, Firmen und Private, allesamt begannen sie in den 80er ihre Träume und Visionen zu verwirklichen – Dörfer, die Infrastrukturen wie Städte besitzen, Verkehrschaos und Streusiedlungen soweit das Auge reichen, sind heute Ergebnisse dieser 80er Mentalität. Exemplarisch für diese Auffassung waren die Bauprojekte in Paris unter der Führung François Mitterands. Kaum eine Stadt hat zu dieser Zeit mehr defizitäre und fragwürdige Projekte realisiert, wie Paris in den 80er Jahren. Kein Stein blieb auf dem anderen, riesige Komplexe und Bauten entstanden unter der zentralistischen Führung. Der grenzenlose Glaube an den Fortschritt trieb die Bauindustrie in Paris an den Rand eines Zusammenbruchs. Geblieben sind Denkmäler einer Verbrauchs- und Konsumgesellschaft, die ihresgleichen sucht.

Wer sich nun weniger für Architektur und Stadtplanung interessiert, darf seine Gedanken ein paar Jahre zurückschweifen lassen, und sich eine Wohnung der 80er Jahre vorstellen. Generell waren die Wohnungen, im Gegensatz zu heute, massiv übermöbliert und überinstrumentiert. Büchergestelle beherbergten nun kaum mehr Bücher, sondern Barbiepuppen, Modellflugzeuge, Gebrauchsgegenstände der Marke "Unbrauchbar" und tonnenweise Dekorationsplunder, wie wir uns das heute kaum mehr vorstellen können. Zu allem Überfluss packte der 80er Teenager seine Möbel in Aluminiumfolie und beleuchtete den Wohnungsaltar dezent mit roten und blauen Spotlampen. Nicht genug der Dekoration, beklebte er sämtliche freien Wandstellen mit Postern, Abzeichen, Kleidern, Fahnen usw. Daneben bereicherten Holzharassen, Schneider-Stereoanlagen, Liegewiesen, Teppiche und herrliche Büromöbel der Marke IKEA unsere Kinderzimmer.

Wie sollte der kleine "Möchtegern-Don Johnson" es besser wissen, wenn seine Eltern kaum bessere Vorschläge präsentierten. Tinguely, Monet, New York und Katzenposter quergemischt dekorierten die Wohn- und Arbeitszimmer. Pseudo-Designermöbel aus den renommierten Massenproduktionsstätten à la Möbel Pfister füllten freie Räume. Dazwischen vegetierten Vogel- und Meerschweinchenkäfige, Standleuchten und etlicher Dekorationsmüll. Materialien wie Marmor, Messing, Glas, Natursteine, Holzimitations-Kunststofffolien und etliches mehr glänzte, schwang sich, überbrückte, trug, erduldete, klebte und hing in den Schweizer Wohnungen, dass uns heute schier der Atmen weg bleibt.

Nebst allen Ungeheuerlichkeiten einer typischen 80er Jahre Wohnung, konnten es viele Bewohner nicht lassen, die (damals noch) sehr teuren Flug- und Ferienpreise nach Übersee mit weiteren Scheusslichkeiten zu kompensieren: Tapeten mit der Skyline von New York oder anderen exotischen Sujets!

Gemäss unseren Persönlichkeiten musste eine Wohnung repräsentieren, dass dem Hobby-Gestalter kaum Grenzen gesetzt waren. Wohlgemerkt eine typische Vorgehensweise der Mittelschicht. Riesige Schrankfronten verstellten Schlafzimmer, farbige Kunststoffböden bevölkerten unsere Bäder und Küchen, Holzimitationen soweit das Auge reichte, und irgendwo in der Mitte der Wohnungsaltar in Form eines nagelneuen Phillipsfarbfernsehers.

Wem das noch nicht reicht, oder vielleicht seine Wohnung noch heute in dieser Form gestaltet, empfehlen wir dringend einen Augenarzt, Psychiater oder Stilberater – letztere sind dann wohl mehr Ausgeburt unserer heutigen orientierungslosen Konsumgesellschaft – wer möchte nicht gerne wieder mal leben wie in den 80er Jahren!

Marc Aebersold