Neue Deutsche Welle

So deutsch die NDW auch klingt, so undeutsch sind ihre Wurzeln!

Pikanterweise beginnt die Geschichte der Neuen Deutschen Welle in der Schweiz: Im Jahr 1980 veröffentlicht die Gruppe Grauzone den Song "Eisbär", und tritt damit einen neuen Trend los: spärlich instrumentierte Musik mit eher monotonen Vokaleinlagen. Dafür wird innert kurzer Zeit der Begriff" Neue Deutsche Welle" geprägt. Unter den Grauzönern war damals der junge Stephan Eicher, auch heute noch einer der erfolgreichsten Schweizer Musiker. Ein weiterer Vorläufer stammt aus Österreich: Hansi Hölzl, eher bekannt als Falco, mit seinem 82'er Überflieger "Der Kommissar".

Nun wurden die Deutschen wach. Eine Band nach der andern schoss in die Szene. Namen wie Extrabreit, Ideal, Ina Deter, Rheingold, UKW, Palais Schaumburg, Daf, Döf, Trio, Hubert Kah (Bild), Peter Schilling und natürlich Nena beherrschten den NDW-Sektor in den Plattenläden

Unglaublich war der Erfolg der Blödel-Truppe um Stefan Remmler: Trio schaffte mit "Da Da Da, ich lieb dich nicht, du liebst mich nicht" einen Nr. 1 Hit. Dabei war der Song eine Billigst-Produktion, deren einziges Instrument eine 130-Franken CASIO-Orgel war. Lean Management in Zeiten, wo jede andere Band im Studio nur so geklotzt hat mit teuren Samplern, Synthis und Effekten... An den Erfolg ihres ersten Hits konnte das Trio nicht mehr anknüpfen, aber auch ihre Nachfolgesingles verkauften sich nicht schlecht. Sie trugen eingängige Namen wie "Bum bum", "Herz ist Trumpf" oder "Turaluraluralu". Einige Jahre später meldete sich Remmler zurück: "Keine Sterne in Athen" und "Alles hat ein Ende (nur die Wurst hat zwei...)" waren aber wohl eher Grölnummern fürs Bierzelt.

Waren die ersten Deutschen Wellenreiter zum Teil noch politisch motiviert, kamen mit Nena und Peter Schilling die kommerziell erfolgreichsten Lieferanten von geschliffenen NDW-Hits: Schillings "Major Tom" und Nenas "99 Luftballons" sind wohl die beiden grössten Hits der Neuen Deutschen Welle. Nena schaffte damit sogar den Sprung über den Bach: "99 Hot Air Balloons" schoss auch in den USA in die Charts. Zusammen mit der englischen Version von Falcos "Der Kommissar" die beiden einzigen NDW-Songs in den US-Hitlisten.

Falco profitierte später vom Amadeus-Fieber, das nach dem Oscar-Segen für den gleichnamigen Film über Europa hereinbrach. Mit "Amadeus" und "Vienna Calling" wurde er zum Superstar. Zeitweise tourte er mit 3 grossen Sattelschleppern und einer Crew von 50 Leuten durch Europa. Für Skandale sorgte der Schmachtfetzen "Jeanny" auf dem Album "Falco 3": Im Lied beschreibt er mehr oder weniger klar eine Vergewaltigung ("wo ist dein Schuh – du hast ihn verlorn, als ich dir den Weg zeigen wollte", und "wir müssen zurück – raus aus dem Wald, verstehst Du?"). Während der folgenden Jahre kamen auch noch "Jeanny 2, Coming Home" und "Jeanny 3" raus, und niemand verstand ihn mehr.

Von Anfang mit dabei war die Spider Murphy Gang. Mit witzigen, ein- oder zweideutigen Texten schafften sie es, im Gedächtnis der Fans haften zu bleiben ("Skandal im Sperrbezirk", "Ich schau Dich an"). Wie die Erste Allgemeine Verunsicherung (mit ihrem ersten Hit "Alpenrap") verwässerte sich ihr Stil aber während der Jahre, bis sie am Schluss tönten wie jede andere Gruppe aus den Bergen... Mit der "Sennerin vom Königsee" steuerte eine weitere Berglergruppe einen Hit bei (Kiz). In der gleichen Sparte anzusiedeln ist auch das One-Hit-Wonder Geier Sturzflug. Ihr Song "Bruttosozialprodukt" liess eine ganze Generation vom grossen Geld träumen, das Gel in den Haaren hatte man ja schon: ("Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – wir steigern das Bruttosozialprodukt").

Die Deutschen New Romantics träumten sich ihre eigenen Welten. So waren das Weltall und ferne Sterne ein beliebtes Thema der Neuen Deutschen: z.B. "Fred from Jupiter" von Andreas Dorau, Tom Schillings "Major Tom" und "CoDo" von Döf (Bild) . Döf steht für Deutsch-Österreichisches Feingefühl (Veräppelung der Band Daf – Deutsch-Amerikanische Freundschaft), und ein CoDo ist ein "Cosmischer Dolm", whatever that is... Jedenfalls bringt der die frohe Botschaft im Sauseschritt zur Erde hernieder: "Denn die Liebe, Liebe, Liebe, Liebe, die macht viel Spass – vielmehr Spass, als irgendwas!" Die Herren Tauchen und Prokopetz lieferten später als Produzenten von diversen anderen Bands weitere Hits ab.

Der neue Mann – eines der grossen Themen dieser Zeit. Weg vom Machismo, hin zu neuen Formen der Verständigung zwischen den Geschlechtern. Kein Wunder, fand dieses Thema auch Eingang in die NDW. Zwei Beispiele: "Männer" von Herbert Grönemeyer, der mit seinem abgehackten Singstil noch gut zur Welle zu zählen ist, und "Neue Männer braucht das Land" von Ina Deter. Diese Songs waren schon fast wieder politisch im Vergleich mit dem Rest... Noch politischer ging's wohl nur noch bei Rio Reiser zu und her. Sein "Blinder Passagier" ist inhaltlich was vom Besten, was die NDW hervorgebracht hat.

Vermutlich der letzte grosse NDW Hit geht auf das Konto von Hubert Kah. Nachdem ihm schon mit "Rosemarie" und "Sternenhimmel" Jahre vorher zwei Riesenhits gelangen, schaffte er mit "Engel 07" 1984 das Comeback.

Christian Raaflaub