Kicken mit Dr. Socrates

Fussball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko: Das war, wenigstens vorübergehend, der Tod des schönen Fussballs. Im Viertelfinale scheiterte Brasilien an Frankreich, das es selbst wiederum nicht bis ins Finale schaffte. In diesem standen sich dann die langweiligen Deutschen und die Argentinier gegenüber. Letztere gewannen 3:2 und konnten sich einen zweiten Stern an die Brust heften. Die Gauchos hatten ausserdem Maradona, der im Viertelfinale gegen England eines der schönsten Tore der WM erzielte: Mit einem Sololauf über das ganze Feld umdribbelte er sieben gegnerische Feldspieler, bevor er locker einschob. Leider schoss er im gleichen Spiel auch das weltberühmte „Hand-Gottes-Tor“. Die Engländer schieden aus und bewiesen einige Jahre später Fairness, als sie 1998 den Sololauf Maradonas zum schönsten Tor des Jahrhunderts wählten.

Damit die FIFA ihre Werbeminuten teurer verkaufen konnte, fanden die Spiele zur europäischen Primetime statt, was für die Herren in Mexiko eher unangenehm war: Sie mussten in der glühenden Nachmittagshitze kicken. Das kam Socrates, dem langbeinigen brasilianischen Superstar, nicht gerade entgegen. Als Kampfraucher bekannt, reichte seine Puste meist nur noch für die mörderischen Freistösse. Dennoch, ähnlich wie heute bei Roberto Carlos, gingen sie selten rein.

Ein anderes Thema der WM war der Sex. Im Deutschen Fernsehen debattierte man endlos, ob man den verwöhnten Spielern während des Turniers die Anwesenheit von Ehefrauen und Freundinnen gönnen sollte. Die meisten, nicht nur die Deutschen, waren dagegen. Socrates aber, der Geniesser, mochte das überhaupt nicht und wechselte später aus diesem Grund auch nicht zu einem italienischen Topklub, sondern zur Fiorentina. Dieser „Laisser-Faire-Klub“ erlaubte Sex vor dem Spiel, die anderen verboten körperliche Ertüchtigung ausserhalb der Kernkompetenz ab drei Tagen vor dem Spiel. Die Fiorentina wurde denn in den letzten 35 Jahren auch niemals italienischer Meister. Socrates hingegen war glücklich, er hatte eben nicht nur den härtesten Schuss...

Dank den Deutschen wissen wir übrigens seit 1986 auch alles über die mexikanische Kultur. Gitarren, Tequila und vor allem Sombreros standen auch den deutschen Schnapsnasen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gut, glaubten sie zumindest. Für ihre modische Extravaganz wurden die Reporter und Kommentatoren leider erst Mitte der 90er-Jahre bestraft, als ihnen SAT1 ihr Hauptarbeitsgebiet, „Die Sportschau“, wegschnappte. Lieber spät als nie.

Zu erwähnen wäre ausserdem der in deutscher Grammatik äussert sattelfeste (holländische) Spieler aus Deutschland, der (leider schon 1954 und auch nicht an der WM; aber trotzdem lustig) einen gelungenen Akkusativ mit der Roten Karte bezahlen musste. Der Ref zeigte ihm mit den Worten „Ich verwarne ihnen“ die gelbe Karte, worauf der Spieler erwiderte: „Ich danke sie!“. Danach gings unter die Dusche.

Christian Fähndrich