Indie, Wave
“Sweetness, sweetness I was only joking
when I said I'd like to smash every tooth in your head”
The Smiths, Bigmouth strikes again (1986)
Der
Synthie-Pop war kalkulierte Politik, das Ende aller Unschuld: Nichts war
mehr so, wie es schien, und vor allem war nichts mehr spontan. Denn der
Pop hatte die Computer entdeckt – oder umgekehrt. Und die Bands
hiessen plötzlich
Human League, New Order, Pet Shop Boys oder natürlich
Depeche Mode. Und die hatten es gut. Mussten Tangerine Dream,
Kraftwerk oder Pink Floyd noch fast wissenschaftliche Labors
auf die Bühne schleppen, genügten den neuen Engländern Sequenzer,
Drummachines, einige Keyboards (die man sich vor den Bauch hängen
konnte) oder einfach ein Fairlight CMI.
Bei der Technik und den daraus resultierenden Hits waren Depeche Mode lange vorne. 1980 als Rockband gegründet änderten sie nach dem Abgang von Vince Clarke (heute Erasure) ihre drollige Spieldosenmusik in sadomasochistisch klappernde Industrieklänge wie auf "People are People." Dann folgten leichter verdauliche Klänge von den Pet Shop Boys, deren Songs heute stark nach House tönen. Tatsächlich waren Neil Tennant und Chris Lowe wegweisend. Und zwar verbanden sie ihre Dance-Sensibilität mit ironisch-distanzierter Reflexion über den Thatcherismus: "Let's make lots of money."
Von
der intellektuellen Seite her kam der Angriff der Kunststudenten. Die Herren
David Byrne und Brian Eno gründeten 1977 die Talking
Heads. Eno stieg bald wieder aus, ist aber heute immer noch einer der
gefragtesten Produzenten (eine Handvoll U2-Alben gehen auf sein Konto.).
Die restlichen 4 schlugen sich aber ganz passabel durch. Infernalische Polyrhythmik
mit paranoiden Texten und dräusende Monotonie waren das Markenzeichen
der Engländer. Und mit "Road to nowhere" hatten sie 1987 sogar
einen richtigen Hit. Sie schlugen den Crossover zu Weltmusik und Techno –
und darin blieben sie unerreicht.
Doch natürlich gab es auch die anderen. The Smiths zum Beispiel. Ab 1984 lehrten Morrissey und sein Gitarrist Johnny Marr (später bei The The) dem (musikalischen) Establishment das Fürchten. Marrs ingeniöses, unverkennbares Gitarrenspiel und Morrisseys exaltierter Gesang, dazu eine unzerstörbare Rhythumssektion und Texte, die Lord Byron, Oscar Wilde und W.B. Yeats begeistert hätten. The Smiths brachen nicht nur mit dem Establishment ("The Queen Is Dead", "Meat is Murder"), sie erfanden auch die Popsongs neu. Das traditionelle Schema Strophe/Refrain/Strophe/Refrain findet man bei ihnen selten. Dementsprechend schwierig bleibt der Zugang zu ihrem Liedgut. Das gilt auch für The The, deren Titel "Armageddon days are here (again)" und "The Violence of Truth" heute grotesk klingen mögen. Doch in den 80ern war alles politisch, deshalb konnte selbst ein Song mit dem Namen "The beat(en) generation" ein Mitgrölhit werden.
Aus
den USA schwappten Bands wie R.E.M. rüber; "It's the end
of the world as we know it" hiess es da. Und danach waren die Jungs nicht
mehr zu halten. Ein paar Jahre früher gabs Alben wie "Dead Letter
Office" oder "Reckoning" (1984). Dort klangen die Tüftler
aus Athens, Georgia noch einiges härter. Und bis anhin eingeübte
Hörgewohnheiten wurden arg strapaziert. Michael Stipe und seine Musiker
liessen gerne elliptische, irritiernde Momente der Verrätselung in ihre
Songs einfliessen und gaben so der Band ein undefinierbares Flair von Intellektualität
und Modernität.
Auf einem signifikant anderen Kurs erreichten die Pixies die hitparadengewohnten Europäer. Mit quasi-mystischer Nonsense-Lyrik liessen es Black Francis und seine Frauen und der Herr krachen. Affen fuhren zum Himmel rauf ("Monkey gone to heaven"), Drogen waren im Spiel, alles machte überhaupt keinen Sinn. Und das war wunderbar. Das fand übrigens auch ein gewisser Kurt Cobain. Als direkt Betroffener schrieb er "Nevermind". Der verführerische Trash der Pixies war zwar origineller, aber Nirvana hatten den Erfolg.
Christian Walther
(dieser Artikel enthält Samples aus dem "Rolling Stone", Ausgabe
11/1997)